Die Angst, als Lebensretter zu versagen
(06.09.2018) Eschweiler Erste Hilfe ist ein Thema, das jeden betrifft. Laut einer Forsa-Umfrage behaupten 99 Prozent, es sei wichtig, in Erster Hilfe geschult zu sein — allerdings sagen auch 40 Prozent, sie trauen sich nicht, im Ernstfall zu helfen. Diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit stellt seit langem ein Problem für die Sanitätsdienste dar.
In den allermeisten Fällen kommen die Teilnehmer der Erste-Hilfe-Kurse aus einem bestimmten Anlass. Der häufigste Grund ist sicherlich der Führerschein, aber auch Erzieher und Sporttrainer absolvieren die Kurse. Damit könnte man grundsätzlich erst mal feststellen, dass viele Menschen in Deutschland eine Erste-Hilfe-Ausbildung durchlaufen haben. An der ganzen Sache gibt es allerdings einen Haken.
Zum einen machen nicht alle Menschen einen Führerschein. Auch diese Personen können aber mit Notfallsituationen konfrontiert werden. „Man denkt oft nur an Autounfälle“, erklärt Anja Dietrich, Leitung Erste Hilfe bei den Maltesern, „oft treten Notsituationen aber auch in ganz alltäglichen Situationen im privaten Leben auf.“ Sei es ein Kind, das sich an einem Legostein verschluckt hat, oder die Mutter, der plötzlich schwarz vor Augen wird. „Um Zeuge eines Notfalls zu werden, braucht man keinen Führerschein“, weiß auch Bernd Lieber, Fachbereichsleiter der Johanniter für die Region Aachen-Düren-Heinsberg.
Ein weiterer Irrglaube ist, dass der klassische Autounfall die Normalsituation der Ersten Hilfe ist. Katja Küpper, zuständig für Erste-Hilfe-Kurse beim Deutschen Roten Kreuz (DRK), klärt auf: „Es sind nicht immer die großen Dinge, oft geht es um einen Schnitt beim Kartoffelschälen oder einen Wespenstich.“ Auch unter diesen Umständen wird Erste Hilfe benötigt, es muss nicht immer eine Herz-Lungen-Wiederbelebung sein.
Außerdem brauchen Ersthelfer keine Angst zu haben, etwas falsch zu machen. „Viele Menschen sind unsicher“, sagt Küpper, „aber Erste Hilfe ist einfach.“ Meist sei der erste Schritt der schwerste — nämlich die Entscheidung zu treffen, überhaupt zu einem Verletzten hinzugehen. Abgesehen von den erlernten Handgriffen sollten Ersthelfer auf ihren gesunden Menschenverstand und ihr Bauchgefühl vertrauen.
Regelmäßige Auffrischung wichtig
Das nächste große Problem ist, dass es für viele beim einmaligen Besuch des Erste-Hilfe-Kurses bleibt. Wer mit 16 oder 17 Jahren das Seminar für den Führerschein absolviert, hat mit 25 vielleicht schon wieder den Großteil vergessen. Zumal sich immer wieder Inhalte oder Techniken ändern — zum Beispiel gibt es seit einigen Jahren offiziell keine stabile Seitenlage mehr.
Aus diesem Grund sollte man etwa alle fünf Jahre einen Kurs zur Auffrischung besuchen, wie Lukas Ritgens, Stadtsprecher der Malteser, erläutert: „Der Fokus liegt auf den Basic-Maßnahmen, die lebensrettenden Sofort-Maßnahmen sind Dreh- und Angelpunkt.“ Diese müsse man verinnerlichen, damit man in Stresssituationen darauf zurückgreifen kann.
Dazu gibt es bei den Maltesern die Rettungskette, die den Menschen in fünf einfachen Schritten Orientierung bieten soll. „Wenn es zu einer Notfallsituation kommt, sollte man sich an das Konzept erinnern“, appelliert Dietrich, „das funktioniert meist auch über die Aufregung hinweg.“
Das DRK empfiehlt sogar, alle zwei Jahre einen Auffrischungskurs zu besuchen. Küpper, die selbst seit zehn Jahren Ausbilderin ist, erkennt einen eindeutigen Lerneffekt bei den Wiederkehrern. „Man wird unglaublich sicher“, bekräftigt sie. Die Teilnehmer, die bereits zum wiederholten Mal ihre Kurse besuchten, würden eine Routine entwickeln. Auch das helfe in Stresssituationen. Daran appelliert auch Lieber von den Johannitern: „Es ist besonders wichtig, dass lebensrettende Handgriffe im Gedächtnis verankert und sofort abrufbar sind.“
Ein immer häufiger auftretendes Problem sind Schaulustige, die mit ihren Smartphones die Rettungsmaßnahmen behindern. In solchen Fällen rät Küpper, diese Menschen wenn möglich zu ignorieren. In keinem Fall dürfe die Erste Hilfe unter den Störenfrieden leiden. „Es hilft auch oft, ihnen Aufgaben zu geben“, so Küpper, „wenn man die Personen einbindet, hören sie meist von selbst auf zu filmen.“ Ein Patentrezept gegen Gaffer habe sie aber nicht.
In den Kursen hingegen werden Tablets gern genutzt. Sie sind mit den Puppen verbunden und zeigen in Echtzeit an, ob man bei der Herz-Lungen-Wiederbelebung alles richtig macht und wo es noch Verbesserungspotenzial gibt.
Nachwuchs vorhanden
Anders als oft angenommen, können Malteser und DRK kein grundsätzliches Nachwuchsproblem feststellen. Lukas Ritgens spricht zwar nur für die Malteser in Eschweiler, sieht aber große Bereitschaft gerade an Schulen und Kindergärten. Auch Katja Küpper kann sich nicht beschweren: „Das DRK in Eschweiler ist schon gut aufgestellt.“ Trotzdem können man nie genug Leute haben, die sich in Sanitätsdiensten engagierten.
Die Zahl der Kurse ist in den letzten Jahren stabil geblieben, wenn nicht sogar gestiegen. Beim DRK besuchten im Jahr 2017 insgesamt 388 Personen Erste-Hilfe-Kurse, bei den Johannitern waren es 350 Teilnehmer. Die Malteser verzeichnen sogar etwa 1650 neue Ersthelfer im Stadtgebiet Eschweiler. Die außergewöhnlich hohe Zahl kommt vor allem durch die Kooperation mit Schulen zustande, in denen ganze Jahrgangsstufen ausgebildet werden.
Trotz dieser Zahlen bleibt die Tatsache, dass zu viele die Kurse nur als Pflichtprogramm absolvieren. Zum Erste-Hilfe-Tag wünschen sich die Sanitätsdienste wieder mehr freiwillige Bereitschaft in der Gesellschaft. Alle paar Jahre würde ein Samstag reichen, um seine Kenntnisse aufzufrischen und im Zweifel Leben zu retten.
Quelle: Aachener-nachrichten-online vom 06.11.2018-17:12Uhr von Caroline Niehus